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Nach dem medizinischen Verständnis der Antike standen Körper und Seele in enger Wechselwirkung zueinander. Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) etablierte unsere heutige Auffassung von einem Dualismus von Körper und Geist im Menschen. Seine Gedanken führten in der Medizin zu einer Fokussierung auf die reine Funktionalität des menschlichen Körpers. Die Seele spielte für dieses mechanistische Medizinverständnis keine Rolle mehr.

Die pietistischen Mediziner um Christian Friedrich Richter (1676–1711) wandten sich gegen diese Auffassung. Sie stützten sich auf die Lehre des hallischen Arztes Georg Ernst Stahl (1659–1734) und verstanden die Seele als Schlüssel zum Verständnis des Lebens und zur Heilung und Genesung. Die »Maschine« Mensch bedurfte ihrer Ansicht nach der Seele als Zweck und Begründung des Lebens. Die pietistische Höherbewertung der Seele führte zur Suche nach den Ursachen von Krankheiten in ebendieser.

Was nun die Vereinigung [von Leib und Seele] selbst betrifft, so bestehet sie in einer solchen genauen Verbindung des Leibes mit der Seele, daß, ob sie gleich sonst ihrer Natur nach ganz divers und unterschieden sind, sie doch nun ein einzig Ding werden, und den Menschen zusammen constituiren [...].

Christian Friedrich RichterDie höchst-nöthige Erkenntniß des Menschen…, S. 79–80

Titelblatt höchst=nöthige Erkenntnis

Christian Friedrich Richter erläutert in seinem über 1.000 Seiten umfassenden Hauptwerk das pietistische Medizinverständnis: Zwischen Körper und Seele besteht ein unmittelbarer, unauflöslicher Zusammenhang. War diese Verbindung durch Affekte oder sündhaftes Verhalten gestört, wurde der Mensch krank.

Basis des von Richter gesammelten und in einem handlichen Buch veröffentlichten medizinischen Wissens zu den verschiedensten Krankheiten, Symptomen und Behandlungen war die Annahme, dass nur die Aussöhnung mit Gott zu wahrer Heilung und Gesundung führe.

Die Publikation auf Deutsch führte zu einer enormen Popularisierung medizinischen Wissens. Richter gab mit seinem Werk den Menschen die Möglichkeit an die Hand, sich in Notsituationen auch selbst behandeln zu können. Er befähigte aber auch dazu, die Behandlung durch einen Arzt zu beurteilen und stärkte damit die Mündigkeit der Patientinnen und Patienten. Das medizinische Nachschlagewerk aus Halle war so erfolgreich, dass es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mindestens 18-mal wiederaufgelegt wurde.

Johann Juncker zählt zu den einflussreichsten Ärzten, die im 18. Jahrhundert in den Franckeschen Stiftungen gewirkt haben. Als Medicus Ordinarius, der »ordentliche« (= angestellte) Arzt der Glauchaschen Anstalten, war er für die Patienten und für die Aufsicht über die Hilfsärzte, Krankenmütter und Krankenwärterinnen verantwortlich.

Johann Juncker (1679–1759), Kupferstich von Johann Martin Bernigeroth (Stecher), um 1750. Halle, Franckesche Stiftungen: Porträtsammlung A 1100

Wer dieses Officium übernimmt, demselben rathe ich aus treuem Hertzen, daß er causam Die zum wahren Schild ergreife, und das Elend der Menschen für sein bestes Obiectum halte […]

Johann Ernst JunckerEntwurf zu einer Instruction eines Medici ordinarii vom ersten Medico oridin. Des W.H. […]

Juncker organisierte nicht nur das gesamte Medizinalwesen in den Stiftungen, er sorgte auch für den Bau des ersten Kinderkrankenhauses und führte eine regelmäßige Armensprechstunde ein. Hier wurden monatlich ca. 1.000 Kranke kostenfrei behandelt und mit Medikamenten des Waisenhauses versorgt. Dabei bezog er Medizinstudenten mit ein, die so Erfahrungen in der medizinischen Praxis sammeln konnten. Eine frühe Form der Krankenkasse spiegelt sich in der Anstellung des Medicus Ordinarius. Er wurde von regelmäßigen Beiträgen, die die auswärtigen Schüler zahlten, unterhalten.

Zu den bedeutendsten Wegbereitern der Gerichtsmedizin als juristisch relevanter Teildisziplin gehört der an der hallischen Universität lehrende pietistische Mediziner Michael Alberti (1682–1757).

Allegorie zur Forensik, Frontispiz in: Michael Alberti: Commentatio in constitutionem criminalem Carolinam medica. Variis Titulis Et Articulis Ratione Et Experientia Explicatis Ac Confirmatis Comprehensa […]. Halle: Waisenhaus, 1739. Halle, Franckesche Stiftungen: BFSt: S/Verl:15

Albertis Commentatio in constitutionem criminalem Carolinam medica von 1739 zeigt an verschiedenen Beispielen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Medizin in juristischen Prozessen auf. Es gilt als eines der Standardwerke zur medizinischen Forensik.

Der Titelkupfer – gestochen von Gottfried August Gründler (1710–1775), der auch für die Gestaltung und Einrichtung der Kunst- und Naturalienkammer des Halleschen Waisenhauses verantwortlich war – zeigt eine Allegorie auf das Zusammenwirken der Disziplinen der Rechtswissenschaft und der Medizin.

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